> Tür 07 <

Mein Aldi Wunder

Die Fachgeschäfte mit den leicht merkbaren Namen kannte ich schon zu Ostzeiten, denn damals lebte ich mit meiner Familie ganz in der Nähe der deutschdeutschen Grenze im Kreis Halberstadt. Dort habe ich als evangelischer Jugendwart die Zeiten der Grenzöffnung und der Wiedervereinigung unseres Landes erleben können. Da könnte ich so manches erzählen – Sie vielleicht auch. Aber eine tatsächliche Geschichte – „Mein Aldi Wunder“ – muss ich erzählen:

Sie spielte sich in der ersten Adventswoche 1989 – ich denke in der Gemeinde Schladen – ab. Schladen ist, nach der löchrig gewordenen Grenze hinter Osterwiek, einer der ersten Orte in Niedersachsen. Ich war mit meinem Trabbi unterwegs und hatte noch ein paar DM in der Tasche. Da dachte ich, fährst schnell rüber zu ALDI und kaufst deiner Frau und deinem Sohn noch ein paar Südfrüchte, den besseren Kaffee, na und was Süßes.

Gesagt, getan. So habe ich mich aus den Pappkartons bei ALDI bedient. Damals waren die offenen Kartons mit den Angeboten normal. Also eingepackt, bezahlt und dann geschah das Wunder.

Ein älterer, etwas körperlich geknickter Mann stand am Ausgang und hatte Briefumschläge in der Hand. Ganz unvermittelt fragte er mich:„Sind sie aus dem Osten?“ – Ja.„Sind sie verheiratet?“ – Ja.„Haben sie schon Kinder?“ – Ja, einen Sohn, sagte ich und schon gab er mir einen der Briefumschläge.

Ich wurde weitergeschoben, denn immer mehr wollten in den Aldi rein oder raus. Der alte Mann sprach weitere Ostmenschen an und verteilte Briefumschläge. Schnell alles in den Trabbi verpackt und ans Lenkrad. Doch dann packte mich die Neugier. Was wird wohl in dem fein säuberlich zugeklebten Briefumschlag drin sein? Also machte ich ihn auf … und …plötzlich hatte ich zwei 100 DM Scheine in der Hand. Ein Wunder?

Vielleicht – auf jedenfall „wunderbares“ Westgeld. Doch wieso bekomme ich am Ausgang von ALDI 200 DM geschenkt?

Ich bin zurück zu dem alten Mann. Er verteilte immer noch Briefumschläge. Ich sah seine Augen. Sie hatten eine Mischung zwischen Freude und Trauer. „Danke, sagen Sie, warum haben Sie mir Geld geschenkt“? Da schaute er mich an und sagte: Er habe mit seiner Frau hier vor der innerdeutschen Grenze gelebt. Seine Frau, schon schwer krank, und er haben im November die Öffnung der Grenze erlebt und waren so glücklich. Vor 2 Wochen, sprach er schwer weiter, ist sie gestorben. Wir haben keine Nachkommen.

Die Lebensversicherung wurde mir nun ausgezahlt. Ich brauche das Geld nicht in meinem Alter. Ich verschenke es an ostdeutsche Familien mit Kindern. Ist es nicht ein Wunder, daß die Grenze aufgegangen ist? Grüßen Sie ihre Frau und Ihr Kind. Eine frohe Advents- und Weihnachtszeit.

… und schon bekamen die nächsten ihren Briefumschlag. Ich war wirklich total angetan. Mir hat es die Sprache verschlagen. Bei einem Wunder ist es oftmals so – man findet keine Worte für den Moment.

Aber ehrlich will ich sein: ….
Ich bin nochmal rein in den ALDI und habe eine schöne Flasche Cinzano und ein paar Überraschungseier fürs Kind gekauft.

„Wunder“ muss man feiern!!!

Ludwig Hetzel